Das Ergebnis des Sommer SewAlongs: Der #SymmetrySwimStar für meine Schwester
Persönliches und Betriebliches miteinander zu kombinieren ist schön und manchmal auch nützlich. In dem Fall, von dem ich dir heute berichten möchte, ist es sogar so, dass gleich 3 Fliegen unter einer Klappe Platz gefunden haben. Eine private (der Badeanzug für meine Schwester) und zwei geschäftliche (Marketing und ein Handwerks-Auftrag).
Der Badeanzug, von dem ich dir kurz berichten möchte, entstand im Sommer im gemeinschaftlichen Online-Nähen, dem SewAlong zum #SymmetrySwimStar. An 3 Terminen nähte ich mit den Teilnehmerinnen nach dem Gewinnermodell des Designwettbewerbs von Natacha Martel einen Badeanzug. Meine Sis hatte sich ein paar Tage zuvor das Material aus meinem Fundus ausgesucht. Es handelt sich um eine der Funktions-Jersey von Apfelschick.
Das anspruchsvolle Schnittmuster zeichnet sich vor allem durch seine symmetrische und harmonische Linienführung aus, die dem kompletten Modell den Charme der 20ger Jahre (Art déko) verleiht.
Der Badeanzug und das Handwerk!
Lass mich ein bisschen weiter ausholen. Ich erzähle dir von einer besonderen Frau in meinem Leben. Meiner Schwester. Meine Schwester ist eine bewundernswerte junge Frau. Sie ist ein Jahr älter als ich und wir sind von außen betrachtet so unterschiedlich, wie man wohl sein kann. Trotzdem schlagen unsere Herzen im Einklang.
Sie hat viele Stärken entwickeln können, von denen andere Menschen nur träumen können. Sie ist die loyalste, tapferste und eine der stärksten Persönlichkeiten, die ich kenne. Du denkst, als ihre Schwester müsse ich solche Dinge sagen? Nicht im Mindesten, denn wenn du Geschwister hast, weißt du, dass man meist ein bisschen (oder ein bisschen mehr) in Konkurrenz steht, ein wenig gehässig werden kann und auch so manche Kämpfe (in der Kindheit auch körperliche) mit seinen Nestgefährten austragen muss. Mittlerweile sind wir erwachsen, haben beide eigene Familien gegründet und betrachten uns als Freundinnen.
Meine Schwester Ruth tritt seit ihrer Jugend in die Fußstapfen unseres Vaters und Großvaters, um unseren Fliesen-Verlege-Betrieb zu führen. Sie hat sich nach dem Schulabschluss für die handwerkliche Ausbildung zur Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerin entschieden. Trotz der hohen körperlichen Herausforderung, die dieser Beruf mit sich bringt, hat sie aus Liebe zur handwerklichen Arbeit jede Hürde gemeistert. Mehr noch: nach der Gesellenprüfung hat sie ihre Ausbildung mit dem Meistertitel auf der Meisterschule in Stuttgart gekrönt.
Das liest sich alles wie eine Bilderbuchausbildung. Doch wenn ich so zurückschaue, kann ich mit absoluten Sicherheit behaupten, dass es das nicht war. Als Frau am Bau kämpft man anders. Ich fürchte, sie musste früh lernen keine Schwäche zu zeigen, um „ihre Frau“ zu stehen. Klar, auch ich versuche zu gendern, Sternchen und Doppelpunkte einzufügen, wo immer es um Menschen geht. Aber am Bau wehte ein anderer Wind. Ob es heute noch so schwierig für Frauen ist, in unserem fortschrittlichen und offenen Land? Ich kann es nicht sagen… Aber Zweifel sind erlaubt…
Jedenfalls sollte dir dieser kurzer Exkurs dir ein bisschen die Welt meiner Schwester offenbaren.
Wie sieht es heute um meine „Sis“ aus? Sie ist verheiratet, hat eine wundervolle kleine Tochter, steht kurz davor, die Firma meines Vaters zur Gänze zu übernehmen und kämpft mit ganz anderen Problemen als der zur Verfügungstellung einer Damentoilette auf der Lehrbaustelle. Nämlich dem Fachkräftemangel! „Wir bekommen kaum Mitarbeiter trotz der offenen Stellen. Und die angekündigten Menschen, die sich laut „Agentur für Arbeit“ bei uns melden sollen – tun es meist nicht!“, so ihre Aussage. Es ist traurig mit anzusehen, dass es die Jobs gibt und niemand diese und andere Arbeit leisten möchte. Denn mir fallen gleich 4 offene Stellen im Handwerk und mindestens 2 weitere in der Industrie ein, von denen ich in Gesprächen mit Menschen in meinem Umfeld weiß.
Wie aber darauf aufmerksam machen? Mein Mann und ich sind seit Jahren im Marketing tätig. Er in leitender Funktion bei einem Industrieunternehmen, ich selbst in meiner selbstständigen Tätigkeit im Onlinebusiness. Es ist schwierig, an handwerkliche Branche heranzukommen und sie in der heutigen Zeit als hip, angesagt oder Faim-tauglich zu präsentieren. Zu wenig ist die Generation, die sich jetzt für Jobs interessiert, mit den Idealen der Gewerke vertraut. Die Schulen bereiten die Absolventen nur notdürftig auf die Alternative zum Studium, nämlich der die Ausbildung vor. Häufig treten die Kinder, deren Eltern einen handwerklichen Betrieb leiten, in deren Fußstapfen, um die Unternehmen weiter zu führen.
Vielen Handwerksunternehmen fehlt leider der Bezug zu den sozialen Medien und vor allem die Zeit, sich ausreichend damit auseinander zu setzten, die jungen (oder generell) Berufsstarter oder Quereinsteiger auch online zu erreichen.
Im Instagram-Kanal haben meine Schwester und ich ein „lustiges“ Reel zu diesem ernsten Thema erstellt. Es zeigt meine Schwester, die Chefin der Firma, im Badeanzug am Pool eines echten Kunden, wo sie die Umrandung neu verdichtet mit Hilfe einer Silikon Spritze. Die Tonspur darüber lautet: „Wir können nicht alle mit nem Mac Book und nem ChaiLatte in Berlin in nem Co-Working-Space sitzen und die 10 Dating-App erfinden…OKAY? Es muss auch ein paar Leute, die etwas anfassen müssen und sich die Hände schmutzig machen…“ (HIER geht es zum Reel)
Wir alle lesen seit Jahren Berichte über den „Fachkräftemangel“. Und genau da liegt das Problem. SEIT JAHREN! Doch anstatt eine Änderung zu gestalten, ändert sich nicht viel. Im Gegenteil: von befreundeten Handwerker:innen und Firmeninhaber:innen, Menschen in unserem Umfeld in Führungspositionen und mit Mitarbeiterverantwortung fällt im Gespräch immer wieder das Wort „Mitarbeiter- oder Fachkräftemangel“. Wo beginnt das Dilemma eigentlich? Meine Theorie ist so simpel, wie erschreckend. Es beginnt es in der Grundschule, deren Abschluss unsere Tochter gerade hinter sich gebracht hat. Eines Tages kam eine hübsche A4 Broschüre per Ranzenpost in unser Haus geflattert, die 4, teils zahnbespangte, Jugendliche mit Sprechblasen über ihren jungen und strahlenden Gesichtern präsentiert. Zu lesen in den Sprechblasen: „Ich habe mein ABI auf dem Gymnasium gemacht“, „Ich konnte mein ABI auf dem 2ten Bildungsweg absolvieren.“ „Mein Abitur habe ich so oder so gemacht!“ und die/der letzte hatte ihr/sein auch Abitur auch irgendwie geschafft (ich müsste die Broschüre für den genauen Wortlaut noch einmal suchen)…worauf ich hinaus will ist, dass bereits den Grundschülern vermittelt wird, dass das Abitur das Einzige ist, auf das es in der Welt eines Jugendlichen ankommt. Denn nur so kann das anvisierte Ziel, nämlich das Studium, an diesen Bildungsweg anschließen. Das ist nicht nur moralisch äußerst fragwürdig, sondern auch dramatisch für die Entwicklung unserer Landes und vor allem unserer Kinder.
Vorsicht! Meinung!
Ich persönlich würde mir für die Gymnasien mehr Raum zur Umsetzung handwerklicher Fertigkeiten wünschen. Zum Beispiel: Unterrichtsausfall wegen Lehrermangel (siehe Fachkräftemangel) damit auszugleichen, etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen, fächerübergreifende Impulse, ganz „uneigennützig“ eine Näh-AG anzubieten oder ein Gemüsebeet zu betreuen, POV: statt die Kinder mit Dauerlutschern für 45 Minuten still sein zu belohnen (ich würde einen gemeinschaftlich zubereiteten Obstsalat für die nächsten 45 Minuten empfehlen 😉 ). Denn Softskills werden nachweislich nicht im Frontalunterricht geschult und sind auch nach der Schule wichtiger denn ja (aktuelle Studie hierzu vom Frühjahr 2022, DGFP // STUDIE).
Handwerk was bedeutet das für dich?
Für uns bedeutet es, dass bewährte Methoden und Prozesse immer wieder neu interpretiert werden. Werden müssen! Damit das #Gewerk mit der Zeit geht. In unserem Betrieb seit 1958 an der Tagesordnung. So steigt die Chefin samt Mitarbeiter selbst in den Pool, um die neue Fuge zu dichten.
Die Abkühlung war meiner Schwester in diesem #Sommer2022 nicht nur willkommen, sondern Teil der vielseitigen Arbeit als #Fliesenlegermeisterin oder #Fliesenlegermeister. Zwar gehört der Badeanzug nicht zur Berufsbekleidung, darf an besonderen Projekten wie dieser Pool-Dichtung nicht fehlen.
Heut zu Tage habe viele junge Menschen den Bezug zur Arbeit mit den Händen verloren. Das ist dramatisch. Wer soll die Fliesen legen? Die Rohre verlegen? Den Designer-Herd anschließen! Hilf uns dem Handwerk neuen Glanz zu verleihen. Schlage deinen Kindern/Nichten/Neffen/Enkeln vor einen handwerklichen Beruf zu erlernen. Die Chancen in der heutigen Zeit sind unbegrenzt, nicht nur durch ein Studium. Durch den Fachkräftemangel stehen alle Türen für den Wunschjob offen. Ein bisschen Initiative und Spaß an körperlicher Arbeit, dann ist die Lehre so gut wie in der Tasche.
Wo bleibt der Anreiz, wenn schon in der frühen Kindheit die Köpfe und deren Träger sowohl an den Stuhl Schulen gekettet wird und kein praktischer Unterricht angeboten wird? Ich höre viele Stimmen aus den Schulen, die sich mehr praktische Arbeit wünschen, auch an den Gymnasien. Oft sind es die bürokratischen Hürden, die den Schulden die Hände binden für AGs oder zusätzliche Praxisstunden. Dabei wäre es so wichtig für die Entwicklung unserer Kinder und die unseres Landes.
Denk gerne darüber nach, deine Katriny*
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